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Karl Sandvoss (1932-2017)

persönlicher Nachruf von Michael Koch

Am 4. November ist Karl Sandvoss gestorben, einen Tag vor seinem fünfundachtzigsten Geburtstag. Er hat nicht leiden müssen, er war auch mit sich im Reinen. Karl war mir ein Freund über mehr als 50 Jahre, und er war ein Freund der EGTA.

Karl und ich sind Mitte der sechziger Jahre bei einem „Kurs“ von Karl Scheit miteinander ins Gespräch gekommen, und dieses Gespräch ist erst mit Karls Tod zu Ende gegangen. Unsere gemeinsame Triebfeder war die Überzeugung, dass die Gitarre in jeder Hinsicht noch gewaltiges Entwicklungspotenzial birgt.

Karl hatte schon ganz früh sein Augenmerk auf die baulich/akustischen Probleme unseres Instruments und auf seine Besaitung gerichtet. Dabei kam es ihm zustatten, dass er als Ingenieur für Maschinenbau naturwissenschaftlich zu denken gewohnt war. Andererseits hatte er als Spross einer alten Kölner Berufsmusikerfamilie bereits sehr jung den Umgang mit Flöte, Klarinette, Violine und Gitarre gelernt und war schließlich bei der Gitarre „hängengeblieben“. Zwei Seelen wohnten also in seiner Brust.

Noch in den Sechzigern etablierte er in Düsseldorf eine Konzertreihe „Internationales Forum junger Gitarrensolisten“ – für damalige Verhältnisse ein Novum, es gab noch keine Gitarrenfestivals. 1971 folgte dann, zusammen mit Freunden, die Gründung des „Institute of Stringed Instruments Guitar & Lute, ISIGL e.V.“ sowie eines angeschlossenen Verlags. Etwa zur gleichen Zeit gab Karl seine Anstellung als Schriftleiter, Bereich Wissenschaft, im Verlag des VDI (Verein Deutscher Ingenieure) auf, um sich fortan nur noch Fragestellungen auf dem Gebiet der Saiteninstrumente widmen zu können. Das ISIGL sowie eine Anstellung als hauptamtlicher Gitarrenlehrer an der Musikschule Grevenbroich eröffneten ihm die Möglichkeit dazu.

Sein ehrenamtliches Engagement für das ISIGL beinhaltete dann nicht nur konzeptionelles Arbeiten, sondern unter anderem auch Verlagstätigkeit sowie Aus- und Fortbildung von Gitarrenbauern.

Im Verlag des ISIGL erschien noch 1971 der „Index Classic Guitar“, ein Verzeichnis, das sinnvolle Notierungsmöglichkeiten für alle bereits existierenden bzw. noch denkbaren Spieltechniken der Gitarre zur Verfügung stellen wollte. Dort findet sich z.B. eine bis heute nicht übertroffene ebenso einfache wie hochdifferenzierte Form der Klangfarbennotation …

Nach ein paar wenig beachteten Notenausgaben mit Neuer Gitarrenmusik erblickte dann im Verlag des ISIGL das „Handbuch des Geigenunterrichts“ das Licht der Welt, verfasst von Karls Freund, dem ungarischen Geigenlehrer, Geigenunterrichtsinspektor, Arzt und Konzertmeister Otto Szende. Hier ging es um die Physiologie des Geigenspiels und deren Umsetzung im Unterricht. Dieses Buch wurde – mit Vorwort von Yehudi Menuhin in der englischen Ausgabe – zu einem Standardwerk in der Violinpädagogik.

In den Siebzigern und Achtzigern entwickelte Karl etliche seiner Ideen zur Reife: Von ihm in Handarbeit gefertigte Saitensätze (Basssaiten inklusive umsponnener g-Saite) stellten alles in den Schatten, was es auf dem Saitenmarkt damals gab – bezogen auf Einschwingverhalten, Transparenz und Klangschönheit. Darüber hinaus fertigte er Basssaiten und umsponnene g-Saiten mit völlig glatter Oberfläche, die den besten damals erhältlichen konventionellen Basssaiten klanglich mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen waren. Etliche Gitarristen jener Zeit von Julian Bream bis Dieter Kreidler haben diese Saiten bei Studioaufnahmen und Konzerten verwendet, um die linke Hand sowohl von Lagenwechselgeräuschen als auch von Strategien zur Vermeidung derselben zu befreien.

Die seinen Saiten zu Grunde liegende neuartige Konstruktions-, Material- und Fertigungsphilosophie hatte Karl sich mit Freunden zusammen erarbeitet. Und die für die Saitenherstellung notwendige Spinnmaschine hatte er zwar beim damaligen Marktführer erworben, anschließend aber selbst für seine Zwecke umgebaut.

Ebenfalls aus dieser Zeit stammt Karls Idee des frei verstellbaren Stegs. Ihn hat er erdacht, um auf einfache Art und Weise für jede Saite die Einstellung der korrekten Intonation zu ermöglichen. Als FABS (Free Adjustable Bridge Saddle) wird dieses System mittlerweile – rund 45 Jahre nach seiner Erfindung – von einer wachsenden Zahl von Gitarrenbauern im Bereich der hochklassigen Instrumente verbaut. (Dagegen haben die am ISIGL entwickelten Saiten leider nie Eingang in die industrielle Serienfertigung gefunden: Die zu ihrer Herstellung notwendigen Investitionen in ihren Maschinenpark waren allen interessierten Saitenherstellern als zu hoch erschienen.)

Ausgangs der Achtziger entwickelte Karl zusammen mit der EGTA-D Richtlinien für die Konstruktion von Kindergitarren, die seitdem als Grundlage für die Gitarrenbauwettbewerbe der EGTA-D dienen. Dass er die Wettbewerbe mit seinem Fachwissen begleitete, war für ihn eine Selbstverständlichkeit. Auch in diesem Jahr war er wieder als Juror dabei.

Bekannt geworden ist Karl schließlich durch seine zahlreichen Fachartikel sowie seine leitende Seminartätigkeit an der FH Markneukirchen, seine Vorträge an der Geigenbauschule Mittenwald und nicht zuletzt aufgrund seiner Zusammenarbeit mit dem Sounddesignunternehmen SYNOTEC (Akustische Kamera usw.). Mit SYNOTEC konnte er im Jahr 2004 in Verbindung mit der Abteilung Toningenieurausbildung der Musikhochschule Düsseldorf und der Gitarrenhandlung Viertmann das „Klangpotenzialprojekt Klassische Gitarre“ durchführen, bei dem – unter Einbezug der Torres „La Leona“ – die klanglichen Qualitäten „großer“ Gitarren des 20. und frühen 21. Jahrhunderts systematisch erfasst und verglichen wurden.

Zu Karls Arbeit gehörte es, ständig gitarrenbautechnische Konzepte nicht nur in der Theorie durchzurechnen (worauf er sich verstand wie kein Zweiter!), sondern auch in der Praxis auszuprobieren. Dafür verwendete er dann von ihm selbst konstruierte Versuchsgitarren. Er ist dabei über die Jahrzehnte hinweg der Torreskonzeption und eher „dünnen“ Saiten treu geblieben – was nicht bedeutet, dass er sich nicht auch mit all dem, was an ihm vorübergezogen ist, intensiv beschäftigt hätte: Übergroße Gitarren mit Zederndecke und besonders dicken Saiten, doppelte Böden und Zargen, Sandwich-Decken, Kasha-System, Zargenschalllöcher usw. usf. All dies hat er akribisch analysiert und letztlich als einem modernen, wissenschaftsgestützt optimierten Fächerbeleistungssystem nicht gleichwertig erachtet.

Seine letzte Versuchsgitarre ist ein mir inzwischen wohlvertrautes Instrument. Er nannte sie liebevoll „August“. „August“ hat so manchen Eingriff in sein Innenleben erfahren und wurde dabei von Mal zu Mal besser: Die Gitarre ist wunderbar leicht zu spielen, ausgesprochen transparent und farbig im Klang, hochsensibel, dazu von enormer Tontragfähigkeit in großen Räumen. So ist es Karl schließlich gelungen, ein altes Hauptanliegen der Gitarristik zu realisieren: Die Vereinigung extremer Sensibilität (wie sie bei Torres‘ „La Leona“ zu finden ist) mit höchster Tontragfähigkeit im Konzertsaal (wie bei den tonstärksten gitterbeleisteten Gitarren unserer Tage). All das verdankte sich Karls tiefer Durchdringung der enorm komplexen Aufgabe Gitarrenbau.

Dabei war er kein gelernter Gitarrenbauer. Entsprechend wenig befriedigten ihn denn auch in ästhetischer Hinsicht seine Versuchsgitarren. Deshalb, und um sein Wissen weiterzugeben, hat Karl vor drei Jahren eine Zusammenarbeit mit einem Gitarrenbauer begonnen, der nun seine Arbeit fortführt.

Karl hat der Gitarre Entscheidendes gegeben. In der Zukunft werden wir die Früchte seiner Arbeit ernten.